Offener Brief eines Ehemaligen
Die jetzt überall zu lesenden Nachrichten über die Missbrauchsvorwürfe gegen Jörg Deneke trafen mich ins Mark.
Ich bin ein Detmeroder Kind, Jahrgang 1963, wurde in der Stephanus Kirche von Heinrich Grosse konfirmiert und begann bald darauf in der Gemeinde aktiv zu werden: in der Gruft, als Teamer auf Konfirmandenfreizeiten, im Konfirmandenunterricht, Mittwochsandachten auf Taizé – Hockern, Sommerfreizeiten für „benachteiligte“ Kinder, Friedensbewegung und Bildungsveranstaltungen gegen atomare Aufrüstung und anderes. Später leistete ich fast folgerichtig Zivildienst in der Gemeinde und wenn ich recht erinnere, schrieb Heinrich Grosse damals für mich ein „Persönlichkeitsprofil“ für meine Kriegsdienstverweigerung.
Hunderte Konfirmandinnen und Konfirmanden absolvierten damals den „Konfiunterricht“, viele dichte und fruchtbare Stunden erlebte ich mit jungen Menschen, mit älteren aktiven Gemeindegliedern, viele bewegende und schöne Momente als Zivildienstleistender mit Behinderten und Kranken.
Es war die „große Zeit“ mit den Pastoren Heinrich Grosse, „Fidi“ Bremer und Jörg Deneke, mit Helma Wulfes und Walter Papst als Diakonin und Diakon, die sich als Team „verschworen“ hatten. Die Stephanus Gemeinde war in dieser Zeit hochaktiv, jung und modern – mit (jedenfalls für mich) glaubwürdigen, authentischen Hauptamtlichen, die auf der Suche nach alternativen Formen von Kirche und christlichem Glauben waren, die für uns junge Leute, jeder auf seine Art, auch erreichbar waren, eine Gemeinde mit hochengagierten
„Teamern“ und Aktiven. Dort fanden sich Vorbilder auf der Suche nach „unserer Religion“, nach einem modernen, in unsere Zeit passenden, in dieser Zeit für uns „möglichen“ Glauben. Auch wenn damals das Gemeindeleben natürlich nicht fehlerfrei war, schimmerte doch eine christliche Gemeinschaft in ihren besten Momenten auf.
Auch wenn ich später meine aktive Zeit nicht mehr fortsetzte, weil sich doch zu viele nagende, grundsätzliche Zweifel einstellten, so hat diese Zeit eine große, fruchtbare Sympathie und ein lebenslanges „Reiben“ an der wunderbaren Verheißung der „Guten Nachricht“ in mir begründet.
Der nun ans Licht kommende Missbrauchs Vorwurf schlägt mit unerwarteter Wucht eine tiefe Wunde und rührt, wie eine rückwirkende „Entwertung“ dieser großartigen Zeit, an Existentielles. Wie eine große Freundschaft, in der man erst spät erfährt, dass der engste Gefährte des Vertrauens nie wert war. Dieser Bruch eines „Urvertrauens“, das wir damals suchten, kann ganze „Gebäude“ der Jugendzeit kollabieren lassen.
Und eine Ahnung zieht herauf: so muss es, in potenzierter Schwere, den Opfern ergehen.
Und leider sind nun alle Pastoren der damaligen Zeit zu früh verstorben und es ist nicht mehr möglich mit Ihnen wenigstens etwas von dem Zauber der damaligen Zeit zu retten, sie in einem persönlichen Gespräch frei zu stellen von einer, hoffentlich nicht vorhandenen, tatenlosen Mitwisserschaft. Denn dieser Schlag trifft nicht nur den einen, er trifft die Gemeinschaft. Soll dieser Schatten des Zweifels, der sich auf alle legt, nicht mehr aufzuhellen sein?
Natürlich liegt die Last des Geschehenen zuallererst auf den Opfern und ich sehe mich nicht als Opfer – aber der Zweifel dehnt sich bedeutend weiter aus und viele, viele könnten um ein Teil Ihrer Vergangenheit betrogen sein, um eine Vergangenheit, in der wir glaubten ein kleines bisschen auf dem Weg zu einer „besseren Kirche“ vorangekommen zu sein.
Ich würde Sie gerne sehr eindringlich bitten: Bearbeiten Sie dieses Thema aktiv, bearbeiten Sie dieses Thema offen. Nur so kann Heilung beginnen. Das ist alternativlos - auch wenn es Sie natürlich nicht persönlich betrifft. Warten Sie nicht bis das Geschehene über die Gemeinde „hereinbricht“ und sich der Verdacht des Vertuschens oder der Nachlässigkeit auf die Stephanus Gemeinde legt.
Lassen Sie eine wunderbare Zeit aus den frühen Tagen dieser Gemeinde nicht in der Dämmerung der Zweifelhaftigkeit versinken, denn das haben die damals hochengagierten Menschen der Gemeinde nicht verdient – und die Opfer schon gar nicht.
Mit freundlichen Grüßen, aber etwas des Atems beraubt,
Carsten Busch, Wolfsburg
Erstmals veröffentlicht im Gemeindebrief 197, September 2020